Interview
Philipp Gufler: Sechs Quilts
Im Gespräch mit Philipp Gufler über sein QUIVID-Werk für die Bezirkssportanlage Lerchenau
Meine Motivation war von Anfang an, eine Art Anti-Monument zu schaffen.
MS
Für die Bezirkssportanlage Lerchenau hat dich QUIVID eingeladen, ein öffentliches Kunstwerk zu schaffen. Quilt #39 bis #45 sind dem Fußballer Justin Fashanu, dem Tänzer Alexander Sacharoff, dem Juristen und Vorkämpfer für rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen Karl Heinrich Ulrichs und dem Schwulenaktivisten Guido Vael gewidmet. Zudem erinnern sie an das Münchner Hof-Atelier Elvira und das Frauenwiderstandscamp im Hunsrück. Einleitend interessiert mich, wie sich das Kunst-am-Bau-Projekt in deine Serie der Quilts einfügt, die an queere Persönlichkeiten, Medien oder Räume aus Geschichte und Gegenwart erinnern.
PG
An der Serie von Quilts arbeite ich jetzt schon seit über zehn Jahren. Die ersten Quilts haben explizit an Menschen erinnert, die an den Folgen von AIDS gestorben sind und direkt mit meiner Recherche am Forum Queeres Archiv München verbunden waren. Die Serie ist ein Versuch, eine andere Form von Erinnerungskultur zu ermöglichen. „AIDS-Memorial Quilts“ gab es ab den 1980er Jahren besonders stark in den USA als eine Art von öffentlichem, dennoch sehr privatem und künstlerischem Gedenken, das es im deutschsprachigen Raum nur sehr wenig gab.
Später erweiterte ich die Serie, um auch an Wissenschaftler:innen, Künstler:innen, Aktivist:innen, Magazine und Orte queeren Lebens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu erinnern. Einige Quilts reichen aber mehr in meine Gegenwart hinein und verweisen auf Personen, mit denen ich persönlich in Kontakt stand. Meine Motivation war von Anfang an eine Art Anti-Monument zu schaffen. Die Quilts in ihrer Fragilität, Transparenz und der Stofflichkeiten sollen weniger auf ikonische Weise gedenken, sondern größere Komplexität und Widersprüchlichkeit in der Erinnerungskultur in ästhetischer Form zulassen.
In Westdeutschland stand der Paragraph 175, der gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Männern kriminalisierte, bis 1994 im Gesetzbuch.
MS
Anti-Monument erinnert an die Tradition der „Countermonuments“, zu Deutsch Gegenmonument, wie es James E. Young 1992 anhand des „Harburger Mahnmal gegen Faschismus“ von Esther Shalev-Gerz and Jochen Gerz in Hamburg beschrieb.(1) Dergleichen künstlerische Gedenkprojekte eint die Verweigerung des Monumentalen in Form ästhetischer Reduktion, die bisweilen im Verschwinden des Objekts oder der Darstellung von Leere bestand. Die sinnliche Stofflichkeit deiner Quilts steht auch im Kontrast zu klassischen Monumenten, wobei ich deren Größe von 180 × 90 cm und Farbigkeit nur bedingt zurückhaltend wahrnehme. Ich denke, deine Quilts sind als Erinnerungsobjekte zwischen Gegen und Para-Monument einzuordnen. Nach Nora Sternfeld handelt es sich bei Para-Monumenten um künstlerische Arbeiten, die andauernde, umstrittene Geschichten zum Leben erwecken wollen. Dafür greifen die Künstler:innen die Formen früherer Monumente auf und widmen deren Bedeutung um.(2) Massiv sind deine Textilarbeiten für die Münchner Bezirkssportanlage nicht, eher fragil und transluzent. Zugleich besitzen die zahlreichen Layers an historischem Text und Bildmaterial durchaus eine gespenstige Präsenz, die die Vergangenheit vielschichtig lebendig werden lässt. Durch eine monolithische Skulptur oder Negativform in der Landschaft ließe sich das schwerer darstellen; zumal Textilien bei der Kunst im öffentlichen Raum immer noch selten vorkommen. Kannst du diesbezüglich deine Überlegungen zur Material-, Form- und Motivwahl näher ausführen?
PG
In dieser Serie möchte ich das Fehlen von Erinnerungskultur sichtbar machen. Wie kann man deren Verschwinden zeigen oder die Schwierigkeit vermitteln, sich solchen queeren Lebensgeschichten zu nähern? Dabei geht es nicht nur um Repräsentation. In Westdeutschland stand der Paragraph 175, der gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Männern kriminalisierte, bis 1994 im Gesetzbuch. Es ist der einzige Paragraph, der in der BRD in einer von den Nazis verschärften Form bis 1969 weiter angewendet worden ist. Deswegen war eine queere Erinnerungskultur nach der NS-Diktatur bis Ende der 1960er Jahre gar nicht möglich. Die Auslöschung queerer Geschichte wirkt deswegen bis in unsere Gegenwart hinein. Dass an das Hof-Atelier Elvira von Anita Augspurg und Sophia Goudstikker, aber auch an Karl Heinrich Ulrichs und Alexander Sacharoff in einem öffentlichen Raum in München gedacht wird, fand ich besonders spannend. Als Künstler, der vor allem in Museen und Galerien ausgestellt wird, erreiche ich oft nur eine begrenzte Öffentlichkeit. Ich fand es deswegen von Anfang an interessant, das heterogene Publikum der Sportanlage, von denen sich bestimmt einige noch nie mit queeren Biografien auseinandergesetzt haben, mit den Quilts und ihren Schichten von Erinnerungen zu konfrontieren. Die Quilts haben mit ihrer Stofflichkeit und Transparenz auch etwas Verführerisches. Wenn von 100 Fußballspieler:innen, die auf dem Weg zu den Umkleidekabinen den Raum betreten, auch nur eine:r kurz stehen bleibt und sich mit den Quilts auseinandersetzt, finde ich das sehr spannend und hat für mich eine große Wirkung. Ein QR-Code auf der Tafel neben den Quilts leitet zu kurzen Biografien auf die Website des Forum Queeres Archiv München weiter, die Mitglieder des Forums über die auf den sechs Quilts porträtierten Personen und Orte geschrieben haben.
MS
Neben Themen von gesellschaftlichem Interesse und Zugänglichkeit, deren Bedeutung du eben sehr treffend erläutert hast, gilt Ortsbezug als Gütekriterium öffentlicher Kunst. Dabei habe ich mich gefragt, wie man die Konstellation an Personen und Themen der Quilts mit der Bezirkssportanlage Lerchenau, die von verschiedenen Sportvereinen genutzt wird, zusammenbringen kann. Eine Verbindung sehe ich im Sport, wie bei Justin Fashanu. Dann natürlich das Bindeglied München: Das Foto-Atelier Elvira lag am Beginn der heutigen Prinzregentenstraße und prägte die hiesige Frauenrechtsbewegung mit, Karl Heinrich Ulrichs hielt 1867 seine berühmte Rede für die Entkriminalisierung von Homosexualität hier, Guido Vael nahm eine zentrale Rolle für die Schwulenrechtsbewegung der 1980er und -90er Jahre in München ein. Gab es noch andere Ortsbezüge?
PG
Das Frauenwiderstandscamp im Hunsrück war auch für viele Menschen aus der Frauenbewegung in München ein ganz wichtiger Treffpunkt in den 1980er Jahren. In vielen Quilts für die Sportanlage gibt es auf jeden Fall einen starken München-Bezug, wobei ich auch mit der Logik des Ortsbezugs brechen wollte und stattdessen die Geschichten, die in einem Zeitraum von über 150 Jahren stattgefunden haben, in einem möglichst offenen, breiten Kontext zeigen wollte. Der Historiker Albert Knoll und das Forum Queeres Archiv München bieten viele Stadtführungen zur queeren Geschichte an, die mich sehr inspirieren. Dadurch habe ich über die Schichten im öffentlichen Raum und wie man Stadtgeschichte sichtbar machen kann, anders angefangen nachzudenken. Der stärkste Bezug ging für mich gar nicht von der Architektur des Gebäudes oder von Fußball aus, sondern wirklich von den Benutzer:innen, unter denen sich natürlich auch Menschen unterschiedlicher Herkunft, Klasse, geschlechtlicher und sexueller Identität befinden.
“Those who say you can’t be black, gay and proud of it are ignorant”/ „Die, die sagen, man kann nicht schwarz, schwul und stolz darauf sein, sind ignorant.“
MS
Dein letzter Satz bringt mich darauf, dass es bereits in unserem Vorgespräch um Intersektionalität ging, also die Verschränkung verschiedener gesellschaftlicher Unterdrückungen:(3) Beispielsweise im Quilt zu Justin Fashanu, dessen doppelte Ausgrenzungserfahrung als schwarzer und schwuler Fußballspieler du vielschichtig reflektierst. Oder das Hof-Atelier Elvira von Augspurg und Goudstikker, die neben ihrem Kampf für das Frauenwahlrecht auch die Klassenfrage reflektieren und Rechtshilfe für Arbeiterinnen organisierten. Allerdings wurde ihren Bemühungen durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten ein jähes Ende gesetzt. All diese in den Quilts verhandelten Geschichten haben auch traumatische Anteile. Inwieweit hilft Kunst dergleichen bedrückende Erzählungen zu vermitteln?
PG
Darüber habe ich mir auf jeden Fall viele Gedanken gemacht und finde den Quilt über Justin Fashanu diesbezüglich am konfrontativsten. Eine Form von Pinkwashing (4) − wie es nach meinem Empfinden bei dem früheren Nationalspieler Thomas Hitzlsperger passierte − ist mit der Lebensgeschichte von Justin Fashanu nicht möglich. Hitzlsperger wird oft herangezogen, um zu zeigen, wie tolerant der Fußball mittlerweile ist, auch wenn bisher seinem Beispiel nur wenige gefolgt sind. Auf der hinteren Stoffschicht des Quilts zu Justin Fashanu sieht man viele Zeitungsausschnitte, die über seine Leistungen als Fußballspieler euphorisch berichten, aber oft seine Sexualität und Hautfarbe stark in den Mittelpunkt stellen. Diese Schicht wird überlagert mit einem Bild von ihm, das ihn kurz nach seinem „Goal of the Season” für Norwich City 1980 zeigt.(5) Um seinen in den Himmel gestreckten Zeigefinger habe ich die Chants (Sprechgesänge) gedruckt, mit denen er während seiner Karriere von den Fußballfans bejubelt, aber auch niedergemacht wurde.
Unter den Sprechgesängen der Fußballfans waren unerträglich rassistische und homophobe Aussagen, so dass ich sie mit einer weiteren Stoffschicht abgedeckt habe. Dadurch sind sie nicht mehr zu lesen, aber trotzdem noch da. Ich kann mir kaum vorstellen, wie er solchen Anfeindungen von tausenden Fußballfans standhalten konnte. Daher wollte ich einige der Chants nicht wiederholen und traumatisierende Erzählungen reproduzieren, seine Lebensgeschichte aber auch nicht posthum idealisieren.
Die Quilts sind zudem ein direkter Verweis auf die Körperlichkeit der Porträtierten, fast wie eine Art von Grabtuch. Die gelbe Stofffarbe des Quilts zu Justin Fashanu verweist auf die Farbe der Trikots von Norwich City. Auf der vorderen Stoffschicht liest man ein Zitat von Justin Fashanu: “Those who say you can’t be black, gay and proud of it are ignorant”/ „Die, die sagen, man kann nicht schwarz, schwul und stolz darauf sein, sind ignorant.“
MS
Deine künstlerische Umgangsweise zeugt von großer Solidarität und Rücksichtnahme, die gut zu einem von zahlreichen jungen Menschen frequentierten Ort passt. Im besten Fall motivieren deine Quilts die Betrachtenden dazu, mutig zu sich zu stehen wie Karl Heinrich Ulrichs und Justin Fashanu, sich gegen Ausgrenzung zu verbünden wie im Frauenwiderstandscamp Hunsrück und durch den Zusammenschluss mit anderen Menschen wie Guido Vael oder das Foto-Atelier Elvira mehr Diversität in der Stadtgesellschaft zu fördern.
Das Kunst-am-Bau-Projekt von Philipp Gufler entstand in Zusammenarbeit mit dem Forum Queeres Archiv München e.V. – LesBiSchwul-TransInter* in Geschichte und Kultur.
Die Geschichten der auf den Quilts portraitierten Menschen können Sie hier nachlesen.
1) James E. Young: „The Counter-Monument: Memory against Itself in Germany Today”; in: „Critical Inquiry” 18 (1992), H. 2, S. 267–296.
2) Nora Sternfeld: „Gegendenkmal und Para-Monument. Politik und Erinnerung im öffentlichen Raum”, in: Ernst Logar (Hg.): „Ort der Unruhe”, Klagenfurt/Celovec: Drava (2018), S. 40–61.
3) Kimberlé Crenshaw: „Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine”, in: „Feminist Theory and Antiracist Politics”, University of Chicago Legal Forum, 1989, Nr. 1, S. 139−167, hier S. 149.
4) „Pinkwashing” bezieht sich auf den gezielten Einsatz von LGBTIQA+ Symboliken für bestimmte Produkte oder Projekte, der vor allem auf kommerzielle oder politische Zustimmung und weniger auf gelebte Queerfreundlichkeit zurückgeht.
5) Siehe auch: Justin Fashanu „Goal of the Season: Norwich City v Liverpool, 1980”, https://youtu.be/1Wk34X94Whk (Abruf: 25.11.2023).