Zwei Eschen
Ilse Haider
2024
auf Anfrage zugänglich
Verbandsgrundschule München-Karlsfeld, Schulstraße 8, 85757 Karlsfeld im Landkreis Dachau
Esche 1 & Esche 2 (Fraxinus excelsior), 2 Fassaden aus Max Compact Exterior Platten, jeweils ca. 10 × 6 m
Architektur: ALN | Architekturbüro Leinhäupl+Neuber GmbH, Landshut, BKS & Partner Bauer Reichert Seitz Architekten mbB, München
Landschaftsarchitektur: Thilo Mittag & adlerolesch Landschaftsarchitekten, München
Fotos: Christoph Mukherjee
Text: Herbert Schnepf
Ilse Haiders Kunst am Bau-Projekt „Zwei Eschen“ zeigt die lebensgroßen fotografischen Darstellungen zweier Eschen, realisiert auf zwei jeweils 10 x 6 Meter großen Wänden der Innenhöfe der Grundschule Karlsfeld. Mit dem Motiv nimmt sie direkt Bezug auf die Realisierung des Schulbaus, für die unter anderem zwei ca. 80 Jahre alte Eschen auf dem Gelände gefällt werden mussten.
Die verwendete Technik ist typisch für Ilse Haider und zugleich einzigartig in ihrer Dimension: eine Art dreidimensionale Fotografie, bei der eine fotografische Darstellung auf eine erhabene Oberfläche appliziert wird und dadurch die Illusion der räumlichen Präsenz des Dargestellten hervorruft. Normalerweise portraitiert Ilse Haider mit dieser Technik Ikonen der Popkultur und Kunstgeschichte, auf etwa 1 x 2 Meter großen beschichteten Holzelementen.
Für das vorliegende Projekt entschied sich die Künstlerin zwei Bäume zu portraitieren, in lebensgroßer Darstellung zweier ausgewachsener Exemplare. Diese Idee hat etwas spielerisch-Absurdes, ihre Umsetzung aber stellte ein fast schon gigantomanisches Experiment dar: Für die Realisierung mussten die gefällten Bäume in eine zur Dunkelkammer umfunktionierten Halle transportiert und bei Rotlicht durch zahlreiche Helfer:innen auf lichtempfindliches Papier gehoben werden, das anschließend belichtet und in einer eigens aufgebauten Produktionsstraße entwickelt wurde. In einer digitalen Reproduktion wurden die Abbildungen schließlich zu gleichen Teilen auf wetterbeständige Platten und hervorspringende Lamellen gedruckt. Bei Frontalansicht ergibt sich dadurch ein vollständiges Bild, das durch die Tiefe der verschiedenen Bildebenen einen dreidimensionalen Effekt hat.
Bei der verwendeten Foto-Technik handelt es sich um ein Fotogramm[1]; die blaue Farbe und der monochrome Detailreichtum der Darstellung sind aber ein Verweis auf die Cyanotypien[2] der Anna Atkins[3], die in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit diesem Verfahren die ersten botanischen Lichtbilder hergestellt hat. Die Referenz an das wissenschaftlich-konservierende Verfahren ist bedeutsam in mehrerlei Hinsicht: die Portraits der gefällten Eschen stehen für die Bedrohung der Natur durch den Menschen; insbesondere, weil es sich bei der Esche um eine in Europa besonders bedrohte Baumart handelt, von der vermutet wird, dass der Großteil ihres Bestands in den nächsten Jahren einer Pilzerkrankung zum Opfer fallen wird.
Die Darstellungen der Bäume in den Innenhöfen der Grundschule können aber auch als Anspielung auf die Institution Schule an sich, das abstrahierte Hereinholen und Vermitteln der Welt verstanden werden. Auch der enorm aufwändige Prozess der Herstellung der Fotogramme kann als bedeutsam gesehen werden: nur in einem großen gemeinsamen Kraftakt konnte das Projekt umgesetzt werden; ähnlich wie die Anstrengungen, die noch unternommen werden müssen, um das ökologische Gleichgewicht wiederherzustellen.
Das Bild eines Baums lässt zweifelsohne viele Interpretationen zu, mit seinen Verzweigungen und in seiner schieren Größe kann es als Sinnbild für das soziale Gebilde einer Schule, für Wachstum oder das Leben an sich stehen, nicht zuletzt liegt die Schönheit jeder Fotografie jedoch darin, zu ermöglichen, das abgebildete Objekt als das wahrzunehmen, was es ist: ein Baum.
[1] Ein Fotogramm ist eine Fotografie ohne Kamera, bei der Gegenstände direkt auf lichtempfindliches Material gelegt und belichtet werden.
[2] Eine Cyanotypie ist eines der ersten fotografischen Verfahren, das auf Eisen beruht und nicht auf Silber, wodurch sich der typische blaue Farbeffekt ergibt. Die Belichtung erfolgt direkt am Papier und benötigt Sonnenlicht oder UV-Licht.
[3] Die britische Naturwissenschaftlerin Anna Atkins wurde durch (fotografische) Abbildungen von Farnen und andere Pflanzen mittels Cyanotypien bekannt. Sie gilt durch diese frühe Anwendung als erste Fotografin.
Kontext
Das Kunstwerk „Zwei Eschen“ von Ilse Haider wurde im Rahmen eines Kunst am Bau-Wettbewerbs für den Neubau der 6-zügigen Verbandsgrundschule in Karlsfeld im Landkreis Dachau durch die Kunstkommission zur Realisierung empfohlen. Die Fertigstellung der Schule erfolgte im Juni 2024, der Schulbetrieb wurde zum Schuljahresbeginn 2024/25 aufgenommen. Das Gesamtprojekt ist Bestandteil der Schulbauoffensive.