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Isa Genzken

1994

öffentlich zugänglich

Städtische Sporthalle an der Arnulfstraße / Ecke Ferdinand-Maria-Straße, 80639 München

Beton, 300 x 240 x 240 cm

Fotos: Florian Holzherr

Text: Manfred Hermes

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Für den Skulpturen-Wettbewerb im Rahmen eines Sporthallenneubaus in München entwarf Isa Genzken eine aus vier diagonalen Kreuzen zusammengesetzte Stahlbeton-Form. Das Grundelement dieser Konstruktion, ein oben und unten verstrebtes X, trifft man in ihren Arbeiten dieser Zeit häufiger an, zum Beispiel in den Bildern der Serie More „Light Research (MLR)“ von 1992. Auf der documenta IX im selben Jahr hatte sie bereits einen gleichartigen Kubus gezeigt, dieser war allerdings kleiner, aus bernsteinfarbenem Epoxid gegossen und für den Innenraum bestimmt.

Man muss hier weiter ausgreifen, denn für diese Grundform gab es ein konkretes Vorbild. Entsprechende Diagonalen kannte Genzken von der Fassade des John-Hancock-Building in Chicago. Ende der 1960er-Jahre hatten die Hochhausspezialisten Skidmore, Owings & Merrill an diesem Gebäude eine neue Methode erprobt. Um die Innenräume stützenfrei und offen zu halten, verlegten sie alle tragenden Teile in die Außenhaut. Genzken gefiel das Kühne und beinahe Titanische der Stahlskelettkreuze, und dass das ästhetisch Beeindruckende dem konstruktiv Notwendigen nachgeordnet ist.

An Genzkens skulpturaler Aneignung kristallisieren sich aber auch weitere Faszinationen aus. Es zeigt sich darin die besondere Fähigkeit der Künstlerin, selbst in einfach wirkenden Entwürfen Monotonie und Dogmatismus zu vermeiden. „X“ ist kein völlig gleichseitiger Hexaeder, er ist vielmehr leicht höher als breit. Weitere Abstufungen ergeben sich aus der Art der Eckverbindung. Sie ist nicht auf Gehrung hergestellt, die vier Betonteile stoßen nicht in einem Winkel von 45 Grad, sondern stumpf aneinander. Da die Seiten der Betonform aber trotzdem gleich breit sein sollten, konnten es die Bauteile selbst nicht sein.

Die leichte Inkongruenz der Proportionen unterstützt wiederum den Eindruck, dass das Abstrakte und Konstruktive dieser Skulptur figürlich überlagert sei. Man assoziiert hier, entsprechend dem Standort bei einer Sportstätte, eine Formation nicht ganz gleichartiger Figuren mit gymnastisch gestreckten Extremitäten, außerdem Körperschematisierungen wie die von Leonardo da Vinci oder Le Corbusier.

Der Text von Manfred Hermes erschien in der Publikation „ISA GENZKEN: AUSSENPROJEKTE“, Hrsg. von Daniel Buchholz & Christopher Müller, Text von Manfred Hermes & Susanne Kleine, Köln 2020.

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