2024
auf Anfrage zugänglich
Haus für Kinder, Korbmacherweg 20, 81249 München
Acrylfarbe auf Beton, 3,5 x 40 m
Architektur: Christoph Maas Architekturbüro GmbH, München
Landschaftsarchitektur: mk.landschaft, München
Fotos: Henning Koepke
Text: Barbara Horvath
Die Fantasie, die Erfindung und die Imagination können etwas hervorbringen, was es noch nicht gibt. Einen Gedanken sichtbar zu machen, beginnt mit der Linie. In einem Netz von Linien, Punkten, Kreisen und Farbflächen erkundet Christian Schwarzwald die Komplexität von Wahrnehmung. Der in Wien und Berlin lebende Künstler greift mit „SLANG“, einer eigens für das Haus für Kinder im Korbmacherweg in München entstandenen großformatigen Wandzeichnung, auf ein Wortspiel zurück, das mehrdeutig gelesen werden kann. Ein „Slang“ – eine saloppe, zum Teil fehlerhafte und zuweilen offenherzige Umgangssprache – kann für den Zusammenhalt innerhalb einer Subkultur oder Gemeinschaft sorgen. Es ist eine Szenesprache, deren sich nicht nur Graffiti- und Street-Art-Künstler:innen bedienen – diese Art von mehrdimensionalem Geheimcode findet sich auch auf einem Spielplatz.
„SLANG“ ist eine Einladung an Kinder (und Erwachsene), einzutauchen in ein Geflecht, in ein Farben- und Formenspiel: über wacklige Brücken in ein Turmhäuschen mit Ausguck, von Balancier-Akten zur Rutschstange weiter zum nächsten Turm, entlang der hölzernen Rampe, sich am Kletternetz festhaltend, endlich bergab gerutscht, dem immersiven Spielkosmos entkommen. Die Hand des Homo ludens (ein Spielender) vermag im Spiel, im Ernst, in der Freiheit und im Vergnügen alle möglichen zukünftigen, meist aber fiktiven Lebensformen oder Welten zu konstruieren.
Eine Airbrush-Pistole verlängert Christian Schwarzwalds Hand; sie ist verbunden mit einer Vorstellungswelt, die aus dem Gedächtnis des Künstlers kommt. Das Liniengeflecht, die überlappenden Zeichen- und Farbflächen sind direkt auf die 40 Meter lange Betonwand aufgetragen. Die Farben gehen ineinander über, wie jene des Regenbogens. Die fragilen Anordnungen von schwebenden Spuren, die auf der Betonwand festgehalten sind, eröffnen einen dreidimensionalen „Raum der Zeichen“ für das davor gelagerte Klettergerüst.
Zeichnen ist ein illusionistischer Akt: Es bringt hervor, es gaukelt, schwindelt und verwandelt, was davor nur virtuell existiert hat. Seine farbigen Chimären zeigen eine utopische Idee. Zusammengesetzt aus verschiedenen visuellen Elementen, erzeugen sie eine Illusion von Realität. Der Mensch, das Kind vermag darin Bäume, geologische Schichten, Tiere, Fabelwesen, Monster, vegetative Formen der Natur, das Meer, die Wolken, ein vertrautes Gesicht oder eine gespensterhafte Erscheinung erkennen. Die Spiel- und Lesarten sind unendlich. Jedes Mal aufs Neue und durch die geschickte Verwendung von Schattierungen, von Perspektive und Details erzeugt Christian Schwarzwalds großflächige Wandzeichnung eine dreidimensionale Wirkung. Die Darstellung ist verwirrend und ungeordnet und übt zugleich eine hypnotische Faszination aus.
Christian Schwarzwalds Denken stellt das zu Ordnende infrage: Wie ist die Welt geordnet? Wird in der Sprache unser Verständnis vom Universum erfunden? Wie fängt das Kind an, die Welt zu beschreiben? Das Kind wächst auf, ohne eine Ordnung zu kennen. Alles ist ihm Welt. Eine Linie, ein Strich kann dieses oder jenes darstellen, potenziell ist darin alles enthalten. Seine Sicht auf die Welt ist unentschlossen, ungefiltert und von einer ursprünglichen Anarchie geprägt. Allmählich lernt es zu unterscheiden, lernt die Welt zu sehen, in richtig und falsch einzuteilen. Es bringt Ordnung in die Unordnung der Gedanken.
Aleida Assmann zufolge erschließt sich der Mensch seine Umwelt nicht allein mittels Werkzeuge, sondern auch durch Zeichen. Der Mensch ist nicht bloß Homo faber (ein Tätiger), sondern auch Homo interpres (ein Deutender) und dadurch in der Lage, „Erscheinungen der Welt nicht nur wahr- und hinzunehmen, sondern auch als zeichenhaft zu erkennen und auf sie mit Deutungsversuchen zu reagieren“.[1] Christian Schwarzwalds „Wand der Zeichen und Linien“ öffnet grandiose Deutungsspielräume, die das Kind (den Menschen) dazu befähigen, die Welt nicht nur zu sehen und zu bearbeiten, sondern auch zu verstehen. Sowohl in der Zeichnung als auch in den Dingen selbst mehr zu erkennen als das, was auf den ersten Blick gegeben ist, lässt sich als eine „anthropologische Grunddisposition“[2] des Menschen betrachten.
[1] Aleida Assmann, „Im Dickicht der Zeichen“, Berlin 2015, S. 31.
[2] Ebd., S. 33.
Kontext
Das QUIVID-Kunstwerk „SLANG“ des in Wien und Berlin lebenden Künstlers Christian Schwarzwald entstand für den Neubau des Haus für Kinder im Korbmacherweg 20 im Stadtbezirk 22 Aubing-Lochhausen-Langwied. Bei dem Bauvorhaben handelt es sich um ein Projekt der Ausbauoffensive Kindertagesstätten. Der Künstler wurde von einer Vorschlagsliste der Kommission für Kunst am Bau und im öffentlichen Raum für das Projekt ausgewählt und eingeladen, einen Entwurf für das Gebäude zu entwickeln und zu realisieren.