Körper
Christian Falsnaes
2023
auf Anfrage zugänglich
Grundschule Hermine-von-Parish, Hermine-von-Parish-Straße 15, 81245 München
Kinderkleidung, Glas, 1125 cm x 450 cm
Architektur: Schwinde Architekten, München
Landschaftsarchitektur: realgrün Landschaftsarchitekten, München
Fotos: Peter Schinzler
Text: Elena Setzer
Beim Betreten des zentralen Treppenhauses der neuen Grundschule an der Hermine-von-Parish-Straße in München wird der Blick durch einen 13 Meter langen Farbverlauf aus roten, orangenen, gelben, violetten, grünen und blauen Feldern in einer fließenden Bewegung hin zu den Oberlichtern des Gebäudes gelenkt. Die bunten, durchfluteten Bahnen durchbrechen dabei die architektonische Gliederung des Schulhauses in seine einzelnen Stockwerke, denen die Klassenstufen eins bis sechs zugeordnet sind und bilden vielmehr – einem Regenbogen gleich – eine alles umfassende Geste.
Was aus der Distanz an ein farbenfrohes Glasfenster erinnert, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als eine dynamische Collage aus Kinderkleidung, die in unterschiedlichen Faltungen, Schichtungen und Drehungen zwischen Glasscheiben gepresst wurde: Es scheint, als würde ein maisgelber Kapuzenpullover ein zitronenfarbiges Longsleeve mit ausgestrecktem Ärmel zum Tanzen auffordern, eine hellrosa Hose es besonders eilig haben, während sich ein froschgrünes, mit Skateboards bedrucktes T-Shirt geradezu im Sprung befindet. Aus diesen und unzähligen weiteren Interaktionen zwischen den einzelnen Elementen ergibt sich das Bild eines vielfältigen Beziehungsgeflechts, das sich in immer neue Verzweigungen auffaltet.
Mit „Körper“ (2023) erzeugt der dänische, in Berlin ansässige Künstler Christian Falsnaes ein Wechselspiel des Sehens, das je nach Perspektive zwischen abstrakt-flächiger Farbkomposition und figurativ-körperlichen Details changiert. Falsnaes, der für Performances bekannt ist, die unter Einbindung des Publikums die sozialen Normen und Rollenbilder kultureller Räume sowohl physisch als auch psychisch herausspielt, aktiviert mit „Körper“ einen Prozess des Wiedererkennens. Die Kinderkleidung, bei der es sich um abgelegte, aussortierte Ware handelt, die den aktuellen, schnelllebigen Modetrends entspricht, lässt sich vermutlich auch in den Kleiderschränken der 6 bis 12-jährigen Schüler:innen selbst finden. Durch dieses Spiegel- und Bezugssystem regt Falsnaes die jungen Bertachtenden dazu an, sich selbst als erweiterte Bildträger:innen und somit als individueller Teil des kollektiven Körpers der Schulgemeinschaft zu begreifen.
Indem Kleidung zum symbolischen Stellvertreter jener Körper wird, die tagtäglich den Treppenaufgang verwenden, verweist Falsnaes zugleich auf die sozialen Funktionen von Kleidung: Als unsere äußere Hülle markiert diese – sowohl gewollt als auch ungewollt – die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Generationen, gesellschaftlichen Schichten, kulturellen Gemeinschaften und Geschlechterrollen, reguliert Ein- und Ausschlussmechanismen. „Körper“ liest sich somit auch als das Porträt einer Generation und archiviert den Zeitgeist einer bestimmten sozio-kulturellen Gemeinschaft an einem bestimmten Ort.
Durch das Verfahren der Konservierung und des Upcyclings, der künstlerischen Umfunktionierung von schnell, billig und oftmals unter ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen produzierter Kleidung (sogenannter Fast Fashion), kommentiert Falsnaes zugleich kritisch die sozialen und ökologischen Auswirkungen der auf Überproduktion und Verschleiß angelegten westlichen Konsumgesellschaften. Falsnaes, der als Jugendlicher durch Graffiti zur Kunst kam und in seinen Performances oftmals öffentlichen Raum temporär neu codiert, fordert die Betrachtenden mit „Körper“ zu einem kreativen Umgang mit scheinbar banalen Alltagsmaterialien auf. „Körper“ verweist auf das widerständige Potential jener Pädagogiken, die außerhalb der Lehrpläne, der Unterrichtsstunden und der Klassenzimmer liegen und aus der selbstbestimmten Befragung und Formung der unmittelbaren Umgebung und Alltagsrealität hervorgehen.
Kontext
Die Arbeit „Körper“ des Künstlers Christian Falsnaes entstand für den Neubau der Grundschule Hermine-von-Parish im 21. Stadtbezirk Pasing-Obermenzing im Rahmen eines Kunst-am-Bau-Wettbewerbs. Bei dem Bauprojekt handelt es sich um eine sechszügigen Grundschule mit Dreifachsporthalle und einer Tiefgarage. Das Projekt ist Bestandteil der Schulbauoffensive 2013-2030. Der Wettbewerbsvorschlag von Christian Falsnaes wurde 2019 von der Kommission für Kunst am Bau und im öffentlichen Raum ausgewählt.