Ein Hase fliegt, einer passt auf
Veronika Veit
2024
auf Anfrage zugänglich
Haus für Kinder, Annemarie-Renger-Straße 33, 81248 München
Außenbereich: Pflanzenelemente auf Alu Dibond, Hasenskulptur in blau pulverlackierter Bronze; Innenbereich: Pflanzenelemente aus farbig bedrucktem und lackiertem Multiplex, schwebender Hase aus laminiertem Styrodur
Architektur: Ott Architekten, Augsburg
Landschaftsarchitektur: Studio B Landschaftsarchitektur, München
Fotos: Peter Schinzler
Text: Julia Stellmann
Ein blauer Hase wartet vor der Tür, bewacht den überdachten Eingangsbereich des Haus für Kinder in München, Freiham. Die langen Löffel gespitzt, ruht sein aufmerksamer Blick auf den Ankömmlingen. Zur Begrüßung sitzt der blaue Bronzehase bereit, ist zugleich verlässlicher Beschützer und sanftmütiger Freund. Gewährt er Einlass in eine andere, weil fantastische Welt? Letztere scheint aus dem Gebäude nach draußen zu dringen, über die Grenzen des geschlossenen Raums zu wuchern und das Grau des Alltags zu vereinnahmen. Wie aus leuchtender Fantasie geborene Gedanken sprießen Blumen an ungewöhnlicher Stelle, prangen auf der holzvertäfelten Außenwand. Denn Löwenzahn und Pusteblumen ranken samt grünem Blattwerk neben profanen Baudetails wie Briefkasten und Klingelschildern. Sie spiegeln sich in der angrenzenden Glasscheibe, scheinen sich angesichts der blickdurchlässigen Grenze noch zu verdoppeln.
Im Innern setzen sich die floralen Elemente fort, schlagen Triebe an der Stirnseite des Treppenhauses. Durch die Glasscheibe lässt sich das bunte Treiben bereits erspähen. Das Narrativ im Freien entspringt wohl urwüchsig im Innenraum. Fast fühlt man sich wie Alice, die in den Kaninchenbau gekrochen ist und absichtslos ins Wunderland hinunterfiel. Frosch, Maus, Vogel oder Raupe sind nur ein paar der Tiere, die sich vielgestaltig in den Treppenhaus-Gewächsen verborgen halten. Sie scheinen Mimikry innerhalb der gelben, grünen und blauen Blüten, Blätter und Stängel zu betreiben. Ein Tier aber – ein zweiter blauer Hase – hat sich aus der Deckung gewagt, ist emporgestiegen und schwebt nun in der Luft über dem undurchdringlichen Pflanzendickicht. Er ist kleiner als die Wächterfigur draußen, inspiziert mit kindlicher Neugier und erhobenem Blick seine unmittelbare Umgebung. Die zu seinen Füßen befindliche Empore erinnert dabei an das Schwimmblatt einer Seerose, welches zu hoch gewachsen aus dem Pflanzenmeer in die Luft ragt, das gedankliche Wurzelwerk mit Sauerstoff versorgt und doch alle Verbindungen gekappt hat. Ist der kleine Hase so hoch geflogen, weil er so groß geträumt hat?
Die organische Formensprache seines vermeintlich in der Schwebe befindlichen Vorsprungs wiederholt sich bei den funktionalen Sitzmöbeln. Sie lassen sich als monolithischer Ruhepol nutzen oder können als Versatzstücke wechselseitig kombiniert werden. In verschiedenen Größen über den Wartebereich verteilt, dürfen nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern auf den Hockern Platz nehmen. Während die Kinder sich eingewöhnen, warten die Erwachsenen wie der große auf den kleinen Hasen. Auf den skulptural geschwungenen Hockern geraten die Wartenden jedoch selbst ein wenig ins Träumen. Ähnlich wie Bienen, die vom Sammeln des Nektars pausieren und zuweilen erschöpft in Blumenkronen einschlafen. Der grüne Grund assoziiert entsprechend eine Wiese, die sich unter den Füßen der Kinder und Eltern entfaltet. Währenddessen rahmen die Pflanzenranken auf farbig bedrucktem und lackiertem Multiplex die Wartenden, scheinen in ihren Köpfen zu wurzeln und von dort aus hinaus in die Welt zu wachsen.
Die Künstlerin Veronika Veit kennt sich aus mit raumgreifenden Installationen, führt unterschiedliche Einzelteile in ihren wohl komponierten Arrangements zusammen, lässt das Publikum Teil ihres narrativen Kosmos werden. Zunächst auf profane Dinge des alltäglichen Lebens fokussiert, rückt seit einiger Zeit der zuvor nur implizierte Mensch als Protagonist ins Zentrum ihres Werkschaffens. So auch innerhalb der Installation im Haus für Kinder, welche die Kinder zugleich warmherzig begrüßt sowie zum Träumen ermutigt. Die Tier- und Pflanzendarstellungen scheinen dabei Kinderbüchern entsprungen zu sein, knüpfen aber tatsächlich an das reale Umfeld der Kinder an, sind sie doch an Flora und Fauna der angrenzenden Aubinger Lohe angelehnt. Auf diese Weise wird das Gewöhnliche nicht nur bemerkenswert, sondern außergewöhnlich.
Das Thema des Wartezustands hat Veit zudem bereits in früheren Arbeiten aufgegriffen, indem sie beispielsweise menschliche Figuren an Orten des Übergangs gruppierte. Das Publikum steht immerzu explizit im Fokus ihrer Installationen, wird ermächtigt, selbst Regie zu führen, sodass sich Realität und Fiktion zu neu gesponnenen Erzählsträngen fügen. Im Haus für Kinder lässt uns Veit das Staunen als intuitive kindliche Kraft begreifen, deren unkontrolliertes Potenzial es zu entdecken und zu bewahren gilt. Wenn schon all den kleinen Lebewesen solch Verwandlungskraft innewohnt, wie viel findet sich bloß in einem selbst wieder? Denn die beiden blauen Hasen bilden allein den Prolog für die Geschichten, welche die Kinder selbst ersinnen.
Kontext
Das QUIVID-Kunstwerk „Ein Hase fliegt, einer passt auf“ der Künstlerin Veronika Veit entstand für den Neubau des Haus für Kinder mit vier Krippen- und vier Kindergartengruppen in der Annemarie-Renger-Straße im 22. Stadtbezirk Aubing-Lochhausen-Langwied. Positioniert im Eingangsbereich des offenen Spielflurs, trägt es maßgeblich zu dessen Charakter als zentraler Ort für Austausch und Begegnung bei. Die Künstlerin wurde 2021 von einer durch die Kommission für Kunst am Bau und im öffentlichen Raum erstellten Vorschlagsliste für das Projekt ausgewählt und eingeladen, ein ortsspezifisches Kunstwerk für das Bauprojekt zu realisieren.