Blobs (Tilia, Carpinus, Betula, Quercus, Prunus)
Benedikt Hipp
2024
öffentlich zugänglich
Haus für Kinder, Quiddestraße 1, 81735 München
Lärche, Schichtplatte, Farbe, circa 40 m x 9 m x 0,2 m
Architektur: LMJD Dennerle Motzet Architekten, München
Landschaftsarchitektur: Büro Freiraum Berger Fuchs Landschaftsarchitekten, Freising
Fotos: Henning Koepke
Text: Julienne Lorz
Die Kindertagesstätte in der Quiddestraße ist zwar ganz neu, aber auf der Fassade haben sich schon ein paar riesige Gestalten eingenistet. Fünf, um genau zu sein. Fünf große, unterschiedlich farbene „Blobs“, die mit neugierigen Augen umherblicken – bis auf einen, der sieht eher verschlafen aus… Sie heißen Tilia, Carpinus, Betula, Quercus und Prunus und bilden gewissermaßen das tägliche Empfangskomitee der Kinder und ihrer Eltern. Aber irgendwie sind sie auch Behüter und zugleich Fingerzeig dieses Ortes. An ihnen kommt jedenfalls keiner so schnell vorbei.
Im harmonischen Zusammenspiel mit der Architektur bespielt der Künstler Benedikt Hipp (*1977, München) mit seinen „Blobs“ die gesamte Breite der hölzernen Fassade der Kindertagesstätte. Fünf einzelne, großformatige, aus Holzleisten bestehende, biomorphe Formen, die mit Cartoon-ähnlichen Augen versehen sind und sich nebeneinander entlang der gesamten Häuserfront aufreihen. Farblich individuell gestaltet – olivgrün, hellblau, lila, dunkelblau und bordeauxrot – stehen sie als Hybride aus Bild und Skulptur der Fassade vor, die dabei zum Hintergrund und Bildträger mutiert.
Hipps Formfindung für „Blobs (Tilia, Carpinus, Betula, Quercus, Prunus)“ ist im Titel der Arbeit begründet. Vervollständigt sind diese Namensgebungen tatsächlich durch die lateinischen Bezeichnungen von fünf Bäumen, die den Baumbestand vor Ort bilden: Tilia intermedia = holländische Linde; Carpinus betulus = Hainbuche; Betula pendula = Birke; Quercus robur = Eiche; und Prunus avium = Vogelkirsche. Der Künstler hat sich die Samen dieser Bäume zum Vorbild genommen, sie abstrahiert und über ihre individuellen Charakteristiken zu Individualisten stilisiert. Hipp weist im übertragenen Sinne darauf hin, wie jeder Baum seine ganz eigene Geschichte hat, die über die gewachsene Form, seinen Blätterbestand und seine Rinde abzulesen ist. In ihrer Vielfalt sind die einzelnen Bäume ständig miteinander sowie mit anderen Organismen und Lebewesen in Kommunikation – der Pflanzenforscher Stefano Mancuso spricht von der „Intelligenz der Pflanzen“ – und bilden im Verbund ein funktionierendes Ökosystem. In Analogie zur Gesellschaft gesehen, stehen die Bäume für individuelle Menschen, die über Gemeinschaft in Symbiose solidarisch zusammenleben. Hipp bezeichnet dies als ein „emergentes System“, womit gemeint ist, dass verschiedene, singuläre Elemente im Zusammenspiel und in ständiger Veränderung potenziell Neues schaffen.
Darüber hinaus untermauert dieser Ausgangspunkt des Baumsamens deutlich den Kern einer Kindertagesstätte: Kindern einen fruchtbaren wie sicheren Ort zu bieten, an dem sie inspiriert werden, lernen, wachsen und gedeihen können. Es sind auch die Hauptnutzer:innen des Gebäudes, die Kinder, die im Zentrum von Hipps Entscheidung stehen, nicht im Abstrakten zu verharren, sondern die Formen über die grafische, humorvolle Sprache des Cartoons zu animieren. Kinder sollen sich angesprochen fühlen und sich mit ihrem Haus identifizieren können.
Die enthaltenen Komponenten des Kunst am Bau-Projekts – Formen- und Materialsprache, deren Korrelationen sowie der Aspekt der Natur – sind generell in Hipps künstlerischer Praxis wiederzufinden. So verhandelt der Künstler menschliche, ins Amorphe übergehende Figuren in seinen technisch versierten Malereien auf Holz sowie seinen archaisch anmutenden Keramiken. Hipp setzt beide – gemalte Figur und tönernes Objekt – in oftmals bühnenartige, räumliche Relation, wobei der Träger oder das Displayelement gleichwertig sind. Einzelne Körperteile wie eine Hand, ein Fuß oder auch Augen sind Motive in seinem Werk, die stetig wiederkehren. Dies ist auf des Künstlers Interesse an Votivgaben, deren Rituale sowie den zugrunde liegenden Glaubenssystemen zurückzuführen. Und nicht zuletzt setzt sich Hipp verstärkt in den letzten Jahren mit Pflanzen und den Zyklen der Natur auseinander. Sein Aufenthalt in der Villa Massimo in Rom war dabei maßgeblich. Dort arbeitete er mit den natürlichen Ressourcen vor Ort und brachte Kunst in Verbindung mit Ökologie und (Bio-) Diversität – eine Auseinandersetzung, aus der heraus das Kunst am Bau-Werk seinerzeit konzipiert und in seiner Realisierung weiterentwickelt wurde.
Mit „Blobs (Tilia, Carpinus, Betula, Quercus, Prunus)“ überträgt Hipp seine künstlerischen Erkundungen auf eine andere Bühne, die der Architektur einer städtischen Einrichtung mit einem anspruchsvollen Publikum. Dabei hat dieses Kunst am Bau-Projekt das Potenzial, auf der vielbefahrenen Quiddestraße einen städtebaulich auffälligen wie einnehmend spielerischen Akzent für den umgebenden öffentlichen Raum zu setzen.
Kontext
Das QUIVID-Kunstwerk „Blobs (Tilia, Carpinus, Betula, Quercus, Prunus)“ von Benedikt Hipp entstand für den Neubau des Haus für Kinder in der Quiddestraße im Stadtbezirk 16 Ramersdorf-Perlach. Der Künstler wurde von einer durch die Kommission für Kunst am Bau und im öffentlichen Raum erstellten Vorschlagsliste für das Projekt ausgewählt und eingeladen, ein ortsspezifisches Kunstwerk für den Neubau zu realisieren. Das Projekt ist Teil der Ausbauoffensive Kindertagesstätten. Das Gebäude entstand als dreigeschossiger Holzbau mit Räumen für 136 Krippen-, Kindergarten- und Hortkinder, 2 Therapieräumen sowie einem erdgeschoßigen Anbau für eine Beratungsstelle des Gesundheitsreferates. Es wurde großer Wert auf Klimaneutralität und Ökologie gelegt: abgesehen von der Bodenplatte wurde kein Beton eingesetzt, es gibt Lehmbauwände im Gebäude und auf dem Hauptdach befindet sich eine Photovoltaikanlage. Der Baumbestand wurde weitgehend erhalten, so dass die in der Kunst dargestellten Baumsamen im Garten wieder zu finden sind.