Aus dem Bauch

Brunner / Ritz

2001

abgebaut

Max-Joseph Platz, Theresienwiese, Hauptbahnhof

ein untergründiges Hörspiel für München, temporäre Soundinstallation

Aus dem Bauch
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Aus dem Bauch

Verdrängte Erinnerungsfetzen der Geschichte schleichen sich aus den Geheimkammern des Unterbewussten immer wieder an die Oberfläche, ob man nun will oder nicht. In der auditiven Installation des Künstlerduos Brunner / Ritz fallen sie uns sogar auf mittelbare Weise aus dem Untergrund Münchens an. Wer beispielsweise arglos am Gully rechter Hand des Eingangs zur Oper entlang schlendert, kann plötzlich Zeuge eines unerhörten Vorgangs werden.

Klangcollagen aus der Münchner Politik- und Kulturgeschichte dringen aus dem Kanaldeckel ans Ohr, angenehme wie störende, melodische wie desaströse. Brunner und Ritz haben aus 70 Jahren Stadthistorie die Geschichtsmarken zu einem recht aufwühlenden Hörspiel gesampelt, dessen historischer Bogen sich von der Nazi-Bücherverbrennung bis zu Interviews mit heutigen Museumsbesuchern spannt.

Unter dem Kanaldeckel verborgene, wasserdichte Lautsprecher machen das „akustische Kaleidoskop der Stadt“ möglich. Da hört man Mussolini im Münchner Hauptbahnhof ankommen, Oktoberfestgetöse um die bereits vor dem Krieg existierende Institution des Münchner „Schichtls“, Ausschnitte aus der „Carmina Burana“. Auf unsichtbare Weise werden zentrale Orte der Stadt über die Klangcollage miteinander vernetzt. Denn nicht nur aus dem Josephs-Platz-Gully tönt das subversive Hörspiel, sondern auch auf der Theresienwiese, am Hauptbahnhof, Gasteig, Olympiastadion, Königs- und Rotkreuzplatz werden unterbrochen durch längere Pausen historische Intervalle aus der Großstadtsinfonie Münchens hochgespült.

Johannes Brunner und Raimund Ritz ist ein etwas anderes und im doppelten Wortsinn untergründiges Erinnerungswerk gelungen. Ein unsichtbares Mahnmal, das so gar nicht als Kranzabschmissstelle taugt, sondern parallel alltäglichen städtischen Getriebe historisch gewichtige Momente Revue passieren lässt. Die positiven und negativen Phantome einer Stadt lassen sich nicht dauerhaft vertreiben, auch wenn manche Bürger am liebsten das unselige Kapitel Hitler aus den Annalen streichen würden. Gerade in einer geschichtsvergessenen Stadt wie München, in der man bis zur Wende zum 21. Jahrhundert noch glaubte, auf ein Dokumentationszentrum des Nationalsozialismus verzichten zu können, wirkt das von Brunner und Ritz wie ein unversiegbar direkt aus dem Bauch der Stadt quellender Gedächtnisfluss.

Birgit Sonna

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