Interview
Alexandra Bircken: PS (Horsepower)
Die Künstlerin Alexandra Bircken (AB) im Gespräch mit der Kuratorin Dr. Monika Bayer-Wermuth (MBW) über ihre Skulptur "PS (Horsepower)" und ihr Gesamtwerk.
Gerade in seiner Harmlosigkeit liegt eine subversive Kraft …
Monika Bayer-Wermuth (MBW)
Ich bin nun schon mehrfach an Deiner Skulptur am Oskar-von-Miller-Ring vorbeigelaufen und habe sie mir im Detail angesehen. Das Schaukelpferd und das Spielzeugpferd sind vertraute Motive in Deiner Arbeit, aber – neben anderen Aspekten – ist hier auch die Dimension neu. „PS (Horsepower)“ ist wie groß?
Alexandra Bircken (AB)
Die Skulptur ist 9 Meter lang, 4 Meter hoch und 1,60 Meter breit. Aber es ist ja auch ein großer Platz für kleine Pferde… (lacht)
MBW
Wie ist die Arbeit entstanden?
AB
Die Analogie zwischen Pferd und Motorrad ist ja nicht erst seit Paul Virilio bekannt, der die Mutter als erstes Transportmittel des Mannes identifizierte, dicht gefolgt vom Pferd, auf dessen Rücken sich das Glück dieser Erde befinden soll. Diese Verbindung zwischen Fortbewegungsmitteln und Glück hat etwas von einer kulturellen Obsession – und zugleich wirft sie enorme Fragezeichen auf. Gerade an einer Stelle wie dieser, wo das Pferd jetzt positioniert ist, wird das sichtbar. Virilios „rasender Stillstand“ ist ein Paradox, das unsere Zeit prägt.[1] Da nimmt man dann eine Säge und schneidet erst einmal das Problem entzwei, bzw. zerlegt es in Teilprobleme. Wie also in einer Stadt wie München einen solchen Platz angehen, in der Fortbewegung, neben den BMW-Zylindern, auch allerlei andere Standbilder des Fortschritts – noch so ein Widerspruch – gewidmet wurden; Und dann entsteht eine monströse, in sich gebrochene Verniedlichung – Pferdchen, schwarz-weiß, quer zum Tunnelausgang.
MBW
In der Arbeit wird ein Objekt des Spiels – das Schaukelpferd – monumentalisiert und zugleich dekonstruiert. Welche Bedeutung hat das Spielzeug für Dich? Ist es eine Rückkehr zur Kindheit oder eher eine Auseinandersetzung mit unseren kulturellen Prägungen?
AB
Nach dem zuvor Gesagten, schon eher eine kulturelle Prägung, wobei Prägung im Hinblick auf das Widerfahrnis Kultur recht harmlos klingt. Das fängt selbstverständlich bereits in der Kindheit an, meist bereits geschlechtsbezogen, hierarchisch und kann auch als gewaltvoll wahrgenommen werden. Das gilt natürlich auch für den öffentlichen Raum, der ja durchaus ein konstituierender ist. Das Pferd ist da erst einmal ein harmloses Transportmittel, das als solches – Oh, wie süß! – gerade deshalb eine Chance hat, an solch exponierter Stelle zu landen. Doch gerade in seiner Harmlosigkeit liegt eine subversive Kraft. Es verbindet also die kulturellen Prägungen und ihre fragwürdigen Resultate, mit der scheinbaren Unschuld kindlichen Spiels und dieser Erkenntnis: Oh, jetzt ist da was kaputt gegangen.
MBW
Die Skulptur kann als kritischer Kommentar zu Automobilität und Verbrennungsmotoren verstanden werden. Siehst Du das Fortschrittsversprechen an einem Endpunkt angelangt?
AB
Zumindest erscheint es doch so? Diese Idee des sich selbst bewegenden automatos, die Menschheit war ja ganz bewegt, ja berauscht davon. Jetzt sieht man z.B. an den verheerenden Bränden in L.A. die Folgen, und wie ein Bulldozer die verlassenen Fluchtfahrzeuge aus dem Weg räumt, um eine Rettungsgasse möglich zu machen.[2] Auch ein bezeichnendes Sinnbild unserer Fortschrittsversprechen…
MBW
Das gebrochene Pferd kann also als Symbol der Krise, des Stillstands interpretiert werden, aber das Scharnier deutet auf die Möglichkeit von Veränderung hin. Ist dieser Moment des Übergangs für Dich eine Einladung, über neue technische oder gesellschaftliche Paradigmen nachzudenken?
AB
Das Scharnier markiert den Ort der Utopie und erzählt etwas von Zusammenhalt, von Flexibilität. Darin läge der Moment der Wiederauferstehung. „Etwas Besseres als den Tod, finden wir überall,“ meinten die Bremer Stadtmusikanten. Die Skulptur von Gerhard Marcks war 1953 die erste Freiplastik nach dem Krieg in Bremen. Die letzte Grenze ist der Himmel und wie heißt es so schön? „Look up to see what`s coming down.“
MBW
Bereits in früheren Arbeiten spielt Dekonstruktion für Dich eine Rolle, um neue Bedeutungen freizulegen. Häufig handelt es sich um Objekte, die eine starke kulturelle Bedeutung haben, wie Waffen oder Fahrzeuge. Es ist eine chirurgische, fast pathologische Arbeit, die Du vornimmst. Welche Erkenntnisprozesse begleiten Dich dabei?
AB
Alles noch an seinem Platz und vielleicht fehlt nur ein Millimeter und doch funktioniert die Sache danach nicht mehr in der intendierten Form. Nur eineinhalb Grad, ein minimaler Bruch verändert den Blickwinkel, die Bezugspunkte, die Kontexte. Darin liegt auch ein Anfang, ganz ohne Zauberei und durchaus ersichtlich.
MBW
Neben den Überlegungen zu Fortschritt und Mobilität kann man in Deiner Arbeit „PS (Horsepower)“ auch einen feministischen Ansatz lesen, etwa eine Kritik an Machtstrukturen oder eine Umdeutung klassischer Symbole wie Reiterstandbilder.
AB
Auch das liegt als Möglichkeit im Reiterstandbild, wobei der Stand eher der des Umbruchs wäre. Unter feministischen Gesichtspunkten hat das ja begonnen, muss aber weitergeführt werden. Der Reiter ist jedenfalls schon einmal weg, wie übrigens auch bei Hans Haackes ikonischem „Der geschenkte Gaul“, das auf einer Radierung von George Stubbs basiert und neben seiner prominenten Platzierung auf der Fourth Plinth am Trafalgar Square in London zuvor auch schon am Haus der Kunst gezeigt worden ist.
Was blieb, nannte Haacke eben zweideutig „Gift“. Es bleibt das Pferd… in der Renaissance, also der Wiedergeburt, galt das Pferd als Synthese aus Kraft, Eleganz und Dynamik. Man sieht das z.B. in der Architektur, so man es sehen möchte. Darin liegt der Rückbezug auf klassische Werte. Kein schlechter Ansatz, wo danach gefragt wurde, warum das Maß einer Tür, eines Bettes usw. dem des Menschen entspricht und nicht zehnmal größer daherkommt, um ihn einzuschüchtern. Ein Kind erlebt das Spielzeug ja als riesig. Vielleicht deswegen: 9 Meter lang, 4 Meter hoch und 1,60 Meter breit.
Alle Informationen zum Kunstwerk „PS (Horsepower)“ finden Sie hier.
[1] Virilio, Paul (1990). Rasender Stillstand. Essay. Frankfurt a. M.: Fischer.
[2] Waldbrände in Südkalifornien im Januar 2025 lösten eine Serie verheerender Großbrände aus, die vor allem das Los Angeles County ab dem 7. Januar 2025 betrafen. Begünstigt durch starke Santa-Ana-Winde und außergewöhnlich trockene Wetterbedingungen, griffen die Flammen rasch auf bewohnte Gebiete über und entwickelten sich zu einer der schwersten Brandkatastrophen in der Geschichte der Vereinigten Staaten.
Bilder 1-4: Peter Neusser
Bild 5: Alexandra Bircken, „The Center Will Not Hold“, 2023, Schaukelpferd, Menschenhaar, Schrauben, Metallscharnier, 64,5 × 73,5 × 60,5 cm, 65 × 72 × 18 cm (geschlossen)
Bild 6: Alexandra Bircken, „RSV4“, 2020, zweiteilig, Motorrad, Metallständer
Vorderer Teil: 117 × 112 × 77 cm & Hinterer Teil: 100 × 103 × 57 cm
Bild 7: Alexandra Bircken, „Diana“, 2014, zweiteilig, 30 × 205 × 195 cm (Installationsmaß)
Alle Abbildungen der Bircken-Werke: Courtesy die Künstlerin, BQ, Berlin, Herald St und Maureen Paley, London