PS (Horsepower)
Alexandra Bircken
2024
öffentlich zugänglich
Oskar-von-Miller-Ring Nähe Haus-Nr. 35, 80333 München
Stahl, Edelstahl, Lack, L 900 x T 160 x H 400 cm
Studio Violet (Projekt- und Produktionsleitung)
Landschaftsarchitektur: kübertlandschaftsarchitektur, München
Fotos: Peter Neusser
Text: Dr. Monika Bayer-Wermuth
Im Galopp zum Stillstand. Alexandra Birckens „PS (Horsepower)“
Die menschliche Sehnsucht, sich schneller fortbewegen zu können, als es die eigene Physis erlaubt, reicht Jahrtausende zurück. Ebenso lange war das Pferd – zumindest zu Land – das zentrale Mittel, um diese Sehnsucht zu erfüllen. Wann der Mensch zum ersten Mal ein Pferd geritten hat, ist nicht vollständig geklärt, doch erste Belege datieren etwa auf 3000 vor Christus. Die Beziehung zwischen Mensch und Pferd ist eine besondere, geprägt von Nähe und Dominanz, und sie hat unzählige Verästelungen: vom Kriegspferd über das Arbeitspferd bis hin zum Therapiepferd. Fast ebenso lange wie die Geschichte des Reitens reicht die des Steckenpferds zurück, die bis ins antike Griechenland dokumentiert ist. Einst eine beliebte Beschäftigung nicht nur von Kindern, erlebt das Steckenpferd heute sogar unter Erwachsenen eine Renaissance. Der Begriff selbst – sowohl im Deutschen als auch im Englischen, wo das Steckenpferd als „hobby“ bezeichnet wird – steht symbolisch für besondere Fähigkeiten oder Leidenschaften.
Diese tief verwurzelte Begeisterung und die Bedeutung des Pferdes sind auch zu Sinnbildern für Automobilität geworden: von den „Pferdestärken“ bis hin zu ikonischen Marken wie dem Mustang oder dem Cavallino Rampante von Ferrari. Doch was geschieht, wenn eines dieser großen Symbole in sich zusammenbricht? Wenn das stolze oder spielerische Ross – ob aus Fleisch, Holz oder Metall – nicht mehr galoppieren, nicht mehr führen oder geführt werden kann? Was passiert mit der Mensch-Pferd-Maschine-Beziehung und mit unserem Fortschrittsglauben? Alexandra Bircken greift genau diesen Moment in ihrer Arbeit „PS (Horsepower)“ auf, einer Skulptur eines gebrochenen Miniaturpferdes, das nun über der westlichen Einfahrt in den Altstadtringtunnel thront.
In der Münchner Innenstadt reiht sich Birckens Skulptur nun zwischen die zahlreichen Reiterstandbilder ein, die Macht und Fortschritt symbolisieren. Doch während Otto I. von Wittelsbach im Hofgarten mit herablassendem Blick von oben auf die Passant:innen schaut und Maximilian I. von Bayern am Wittelsbacher Platz unablässig seine Hand gen Himmel streckt, markiert „PS (Horsepower)“ nicht Triumph, sondern Stillstand. Das gebrochene Pferd verweigert sich der Dominanz. Es bleibt weder Sitz noch Thron, es wird kein Träger von Macht. In seinem Bruch wird Fortschritt als Illusion entlarvt, Mobilität und Dominanz verlieren ihre Relevanz. Nur das Scharnier, das die beiden Teile der Skulptur verbindet, deutet ein Potenzial zur Transformation an – vielleicht durch die Technik, vielleicht durch eine neue Perspektive.
Die Auseinandersetzung mit dem Pferd und seinen Bedeutungen – vom Spielzeug über das Fortbewegungsmittel bis hin zum Fortschrittssymbol – zieht sich durch Birckens skulpturale Praxis. Bereits in den späten 2000er Jahren, mit Arbeiten wie „Pferdchen“ (2008), einem mit Häkelnetz umhüllten Schaukelpferd, beginnt diese Erkundung. Sie findet ihren Ausdruck auch in den richtungsweisenden Serien zersägter und re-kollagierter Motorräder wie „Lop Lop“ (2014) oder „Interceptor II“ (2016). Die technisch aufwändig zersägten oder umgebauten Rennsportmodelle offenbaren das Innere der Maschine, deren organhafte Struktur Analogien zum menschlichen Organismus erlaubt. Mensch und Maschine stehen dabei nicht in Konkurrenz, sondern werden als ineinandergreifende Entitäten gedacht – wie in der Mensch-Pferd-Beziehung. Die Maschine ist als Prothese konstruiert, während der Mensch ohne seine maschinellen Erweiterungen ein langsames, schwerfälliges Wesen bleibt. Umgekehrt bedeutet das Fehlen eines menschlichen Körpers für die Maschine Stillstand, eine Leerstelle, die darauf wartet, gefüllt zu werden.
Die Positionierung von „PS (Horsepower)“ an einer verkehrsrelevanten Stelle verstärkt diesen Bezug. Autofahrer:innen blicken aus ihren PS-starken Fahrzeugen auf das gebrochene Pferd, das symbolisch auch das Ende des Verbrennermotors markiert. Die organische Mensch-Maschine-Beziehung, wie sie im 20. Jahrhundert gedacht wurde, tritt in den Hintergrund. Was an ihre Stelle tritt, bleibt offen – vielleicht entwickelt man im benachbarten Staatsministerium für Digitales bereits eine Antwort. Die Daumen der am Fenster stehenden Mitarbeiter:innen gingen während der Aufstellung der Skulptur jedenfalls schon hoch.
Birckens gebrochenes Pferd markiert nicht nur ein Ende, sondern fordert auf, über neue Anfänge nachzudenken – für Maschinen, Macht und Menschen.
Kontext
Das Kunst am Bau-Projekt „PS (Horsepower)“ von Alexandra Bircken entstand im Rahmen der Neugestaltung der Freiflächen am Oskar-von-Miller-Ring, die nach der Sanierung des Altstadtringtunnels realisiert werden. Bei einem konkurrierenden Planungsworkshop zur Gestaltung der Freiflächen wurde der Entwurf von kübertlandschaftsarchitektur zur Realisierung ausgewählt mit der Empfehlung, die Freiflächen mit ihrer großflächigen Baum-, Stauden- und Gräserbepflanzung mit einem Kunstwerk zu ergänzen. Bei einem Wettbewerb mit fünf Künstler:innen jeweils in Zusammenarbeit mit einer/m Tragwerksplaner:in wurde 2021 der Entwurf von Alexandra Bircken zusammen mit Studio Violet und ArtEngineering GmbH von der Kommission für Kunst am Bau und im öffentlichen Raum zur Realisierung empfohlen. Die Realisierung des Kunstwerks wurde vom Münchner Stadtrat 2022 beschlossen und vom Kulturbaufonds München gefördert. Die Gesamtmaßnahme inklusive der Wiederherstellung der Oberflächenfahrbahnen, Anlage der baulichen Radwege und der Neugestaltung der Freiflächen am Westportal wird voraussichtlich Ende 2025 fertiggestellt.